Liebe Leserin, lieber Leser!
Zu kaum einer Jahreszeit erleben wir die Natur so faszinierend wie im Frühling:
wenn zarte Schneeglöckchen und Krokusse durch die dunkle Erde brechen,
wenn die ersten Sonnenstrahlen wärmen,
wenn sich eine Blüte Blatt für Blatt entfaltet, wie auf dem umseitigen Foto die Apfelblüte…
Das löst bei vielen Menschen Freude, Staunen und Bewunderung aus.
Einer der sich ebenfalls dazu hinreißen ließ, war Franz von Assisi (1181-1226), sein Staunen führte ihn geradewegs in Verbindung mit dem Schöpfer. So dichtete er 1225, also vor 800 Jahren den Sonnengesang, ein Gebet, in dem er die Schönheit der Schöpfung preist und Gott dafür dankt.
Das Leitmotiv des Sonnengesangs ist die universale Geschwisterlichkeit mit den kosmischen Erscheinungen: mit der Schwester Sonne, mit Bruder Mond und den Sternen, mit den Elementen, Bruder Wind, Schwester Wasser, Bruder Feuer, der Schwester und Mutter Erde und mit allen Kreaturen.
Das verändert die Perspektive, alles Geschaffene wird in eine neue Verbindung zu den Menschen gestellt: Der Mensch steht in Augenhöhe mit allem Geschaffenen. Eine neue Qualität kommt hinzu, die Geschöpfe sind uns (Menschen) Schwester und Bruder.
Das hat Konsequenzen.
Angesichts der Krisen unserer Zeit zeigt der Sonnengesang einen anderen Weg auf, das Erdreich zu besitzen. Nicht Aggression und Besitzen-Wollen, sondern universale Geschwisterlichkeit sollte die Menschen anleiten. Ehrfurcht und Achtsamkeit sollten den Umgang mit der Schöpfung prägen. Die Schöpfung ist nicht in ihrem Gebrauchswert zu sehen, vielmehr ist der Mensch Hüter der Schöpfung.
In einer Strophe spricht der Sonnengesang von jenen, „die verzeihen um deiner Liebe willen“ und erinnert daran, auch untereinander für Frieden und Versöhnung zu sorgen, was soziale Gerechtigkeit einschließt.
Franziskus hat den Sonnengesang zu einer Zeit verfasst, in der er todkrank in einer Hütte auf Strohmatten lag, nahezu erblindet. Dieses strahlende Loblied entsprang einer Situation von Krankheit und Not. Es kann dazu ermutigen, die göttliche Gegenwart auch im Leiden zu sehen.
Es geht nicht darum, das Leiden gut zu finden oder gar zu suchen. Sondern es geht darum, inspiriert zu werden, auch in Krisen niemals die Hoffnung zu verlieren und auf Gottes Gegenwart zu vertrauen.
Für die Klinikseelsorge
Theresia Tettling